Deutsch ist nicht gleich Deutsch
Interview mit Marianne Hepp, der Vorsitzenden des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbands (Autor und Redakteur- Martin Hager; Copyright: Goethe-Institut e. V., Redaktion Magazin Sprache, Mai 2017 https://www.goethe.de/de/spr/mag/idt/20981692.html)
Im Sommer 2017 findet die XVI. Internationale Tagung der Deutschlehrerinnen und –lehrer (IDT) statt. Marianne Hepp, Vorsitzende des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbands, spricht im Vorfeld über Mehrsprachigkeit, die Variationsbreite des Deutschen und die Vorteile einer kontroversen Diskussion.
Um mit einer etwas provokativen Frage anzufangen: Wenn man sich die Themen der ersten Internationalen Deutschlehrer-Tagung 1967 und der diesjährigen IDT ansieht, könnte der Unterschied kaum größer sein: von „Probleme des DaF“ zu „Brücken gestalten – Mit Deutsch verbinden“, von einer problem(lösungs)orientierten zu einer affirmativen Herangehensweise. Ist die Welt heute so schön und heil?
Diese Frage habe ich mir auch bereits gestellt. Es ist wirklich kurios: „Probleme des DaF“. Ich habe deshalb Rückfrage gehalten mit Kolleginnen und Kollegen von früheren Vorständen: Was sie damals darunter verstanden haben, waren tatsächlich strukturelle, grammatische Themen wie zum Beispiel die regelhafte Positionierung der konjugierten Verbform im Satz. Es waren also keine vorwiegend politischen Probleme gemeint, die hätten damals auch gar nicht so einfach thematisiert werden können, die Situation im geteilten Deutschland ließ das nicht ohne Weiteres zu. Die erste Tagung war in München, die zweite in Leipzig. Das war kein Zufall, denn München war Sitz der Zentrale des Goethe-Instituts und Leipzig Sitz des Herder-Instituts. Der politische Aspekt spielte also auf einer anderen Ebene hinein. Und dann wurden mit Salzburg, Bern, Budapest als Ausrichtungsorte im Lauf der Zeit auch andere Länder in die Rotation einbezogen.
Also Brückenbau durch Ortswahl?
Genau. Und bei der IDT 2017 wurde die Brücke als Thema gewählt. Denn heute wollen wir die Vermittlung von Deutsch nicht mehr negativ unter dem Gesichtspunkt der Probleme sehen, sondern positiv aus der Perspektive der Verbindung. Brücke bedeutet dabei natürlich auch eine Brücke zwischen Theorie und Praxis – was übrigens immer schon so war. Neu in diesem Zusammenhang ist aber die Brücke hin zur Mehrsprachigkeit. Man betrachtet Deutsch nicht mehr in einer Konkurrenzsituation stehend, sondern als eine Stimme im Chor der Sprachen. Die Sprachkulturen der Welt nähern sich immer mehr an. Außerdem gibt es ja auch viele Länder, in denen mehrere Sprachen gesprochen werden. Das rückt zunehmend ins Bewusstsein.
Das heißt, der Fokus liegt wesentlich stärker auf kulturellen Aspekten?
Absolut. Wir haben heute – das spiegelt sich auch in den 9 Fachpodien und 36 Sektionen wider – eine Vielfalt an Themen, die sich bei jeder IDT noch erweitert. Und die besonderen Anziehungspunkte sind Themen wie Kulturvermittlung und Landeskunde, Mehrsprachigkeitsforschung, digitales Lernen. Also die multikulturellen Ansätze im Lernen, die Mediendidaktik: Das sind die Interessensschwerpunkte, bei denen die Anzahl der eingeschriebenen Teilnehmenden stetig wächst.
Ist die Entscheidung, die sprachpolitischen Themen an den Anfang zu setzen, bewusst als Hinweis an die Politik gedacht, nach dem Motto: „Wir sind hier nicht nur, um uns auszutauschen, sondern wir wollen Akzente setzen und Forderungen stellen“?
Das ist eine Neuigkeit bei dieser IDT: Die früher teils separaten Podien wurden gemeinsam an den Anfang gestellt. Die Tagung zielt ja auch darauf ab, eine sprachpolitische Resolution vorzustellen, mit der sich schon seit über einem Jahr elf spezifische Arbeitsgruppen befassen. Ziel ist ein Aufruf an die Politik mit Empfehlungen zur Förderung der deutschen Sprache weltweit, des Mehrsprachigkeitskonzepts und der Unterstützung der beruflichen Aktivitäten der Deutschlehrenden.
Welche Möglichkeiten haben Sie denn, diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen?
Solche sprachpolitischen Resolutionen muss man immer wieder stellen, man braucht Geduld. Und die Wirkung ist natürlich wesentlich größer, wenn die Entscheidungsträger selbst vor Ort sind oder waren.
Neben diesen eher übergreifenden, stärker verbandsorientierten Themen gibt es auch noch Neuerungen auf einer praktischen Ebene, nämlich Einblicke in die Arbeit von Lehrenden. Können Sie näher erläutern, was damit gemeint ist?
Das sind die didaktischen Werkschauen, ein ganz neues Format. Deutschlehrende aus aller Welt stellen mit kurzen Filmsequenzen ihre Arbeit in ihrem Land, in ihren Kursen vor. Zum Beispiel könnte das jemand aus Indien sein: Dort gibt es Klassen mit 50 bis 80 Leuten und die Lehrenden müssen sich eine ganz besondere Großgruppendidaktik ausdenken. Die Filmsequenzen zeigen, wie unterschiedlich die Ausgangssituationen sind. Die Lehrenden möchten damit eine Diskussion anregen, was auf internationaler Ebene als gut oder weniger gut empfunden wird.
In dieselbe Richtung geht ja auch eine andere Neuerung: Vorträge als Ko-Referate, also zwei Vortragende zu einem Thema mit Diskussion. Geht es dabei auch darum, etwas mehr in Richtung Kontroverse zu gehen?
Durchaus. Auch das war eine gute Idee der Freiburger Ausrichtenden. Zwei Vortragende sprechen nacheinander zu verschiedenen Aspekten eines gemeinsamen Themas und präsentieren es aus ihren je eigenen Blickwinkeln. Wenn beispielsweise ein Schweizer und eine Ungarin über ein Thema sprechen, das sie unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen umsetzen, zeigt das, wie verschieden ein und dasselbe Thema angegangen werden kann. Wir hoffen, dass das Zündstoff gibt für spannende Diskussionen.
Wir hatten ja schon über die Geschichte gesprochen, über die Rotation der Ausrichtungsorte. Zeigt sich darin auch ein Trend, dass die Variationsbreite des Deutschen immer stärker betont wird? Gibt es mittlerweile eine engere Verbindung zwischen dieser Rotation der Städte und dem Blick auf die regionale Variationsbreite des Deutschen?
Dieser Gedanke liegt dem IDV sehr am Herzen. Der Dachverband hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, die Schulbuchpolitik in dieser Richtung zu unterstützen. Wir finden heute in allen Schulbüchern die Variationsbreite des Deutschen thematisiert. Der IDV hat auch schon 2007 eine DACHL-AG gegründet, also eine Arbeitsgruppe aus den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein, die immer größer wird. Daneben ist es aber auch wichtig, dass in das Rotationsprinzip weitere Länder einbezogen werden, in denen Deutsch eine Rolle spielt. Beispielsweise Ungarn, wo bereits 1983 eine IDT stattgefunden hat. Das war kein Zufall, denn in Ungarn gibt es deutsche Sprachinseln. Es wäre denkbar, auch in Zukunft Ausrichtungsorte auszuwählen, wo Deutsch in einer anderen Form als der Muttersprache eine wichtige Rolle spielt.
Was sich dann auch im Programm widerspiegeln würde, wie es aktuell in Fribourg beziehungsweise Freiburg der Fall ist? Es wird ja bewusst thematisiert, dass die Stadt eine Sprachgrenze zwischen dem Deutschen und dem Französischen darstellt.
Ja. Bei der IDT im italienischen Bozen konnte man das schon gut sehen. Die Teilnehmenden haben es sehr positiv aufgenommen, dass der IDT-Sitz eine Region war, in der Deutsch eine von mehreren Sprachen ist: in der die Sprachen nebeneinander existieren. Ich kann mich gut erinnern, wie eine Inderin sagte: „Das ist wie bei uns, nur haben wir sieben Sprachen. Das ist unser Alltag und es ist wohltuend zu sehen, dass das auch für die deutsche Sprache gelten kann.“
Um zum Schluss noch auf ein aktuelles Thema zu sprechen zu kommen: Wie hoch ist das Interesse bei der IDT an der Situation mit den Geflüchteten und dem damit einhergehenden hohen Bedarf an Deutschunterricht?
Wir haben bei unseren Mitgliedsverbänden gezielte Anfragen zum Interesse an diesem Thema gestellt. Es hat sich bei Deutschlehrenden auch in Ländern weitab von Europa – wie Brasilien - gezeigt, dass ein großes Interesse am Thema vorhanden ist. Die Teilnehmenden wollen wissen, welche Lösungen die deutschsprachigen Länder finden. Denn es gibt in anderen Ländern durchaus Parallelsituationen, beispielsweise mit Arbeitsmigranten. Oder umgekehrt ziehen die Menschen von dort selbst in andere Länder und müssen eine neue Sprache lernen. Diesem Interesse kommt das IDT-Programm entgegen. Das ist übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, wie die IDT aktuelle Tendenzen und Interessen aufgreift und damit ihrerseits Einfluss auf die Zukunft des Unterrichtens und des Fachs DaF nimmt.
Prof. Marianne Hepp lehrt Deutsche Sprachwissenschaft am Dipartimento di Filologia, Letteratura e Linguistica der Universität Pisa, Italien. Seit 2009 übt sie die ehrenamtliche Funktion als Präsidentin des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbands (IDV) aus.
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